Spieltest
Spieletest: GTA 4 - Der amerikanische Traum!
Rockstar Games liefert neuen Höhepunkt der Spieleserie Grand Theft Auto
Es ist die Spiele-Veröffentlichung des Jahres - bei keinem anderen Titel sind die nächtlichen Vorverkaufsschlangen so lang, die Verkaufszahlen so beeindruckend, der Aufschrei der Jugendschützer so laut und das Echo in der Fachpresse so groß wie bei "Grand Theft Auto 4". Bei diesem Rummel musste man befürchten, Rockstar Games könne den hohen Erwartungen nicht gerecht werden. Die Angst war unbegründet: GTA 4 gibt Spielern, Presse und besorgten Müttern das, was sie erwartet haben - ein unvergleichliches Erlebnis.
Bei der Wahl der Hauptfigur hat Rockstar Games Mut bewiesen: Ein gebrochener, in schäbige Trainingsklamotten gekleideter Osteuropäer, der vom Bürgerkrieg gezeichnet ist und zudem zu Beginn alles andere als sympathisch wirkt, scheint zunächst keine optimale Identifikationsfigur. Doch kaum hat man die ersten Minuten mit dem Serben Niko verbracht, wächst er einem schon ans Herz: Eben weil den Entwicklern das Kunststück gelingt, die enttäuschten Hoffnungen von Niko spürbar und seinen tief in den Verbrechensstrudel geratenen Lebenslauf nachvollziehbar zu machen.
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Dabei hatte doch alles so vielversprechend angefangen: Niko will nach Jahren schrecklicher Kriegserlebnisse und gescheiterter Unternehmungen endlich einen Neuanfang starten - und welches Land böte sich dafür besser an als die USA, in denen Cousin Roman angeblich schon seit Jahren in Villen haust und das süße Leben genießt. Als Niko im stimmungsvollen, minutenlangen Spielintro auf einem alten Frachter in der New York nachempfundenen Stadt Liberty City ankommt, muss er allerdings schnell begreifen, dass Roman die eigenen Lebensbedingungen etwas ausgeschmückt hat: Anstelle einer Stretch-Limo wartet ein altes Taxi, statt einer Villa mit Pool und nackten Frauen gibt es ein ranziges Appartement voller Kakerlaken. Und der Cousin ist kein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern ein alkoholisierter Betreiber eines Fuhrunternehmens - und Niko darf ihn dann auch gleich als erste Aufgabe nach Hause zu Ausnüchterung bringen.
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GTA 4 gelingt es schnell, den Spieler durch geschickt in den ersten Stunden eingestreute Tutorials mit der Bedienung und so auch mit den Veränderungen und Neuerungen vertraut zu machen. Das beginnt gleich bei den Fahrmissionen: Natürlich darf wieder ein fahrbarer Untersatz nach dem anderen gekapert werden; je nach Fahrzeugwert und Klasse variieren die Vehikel aber in punkto Fahrgefühl und Bedienbarkeit. Ein recht umfangreiches Schadensmodell und der spürbare Physik-Einsatz sorgen dafür, dass nach dem Umfahren von Passanten oder dem Unfall mit dem Gegenverkehr auch mal die Motorhaube wegfliegt, Niko aus dem Fenster geschleudert wird oder gar die Reifen Feuer fangen. Vor allem aber gibt es jetzt auch ein Navigationssystem: Durch simplen Klick auf die Übersichtskarte lässt sich das Fahrtziel festlegen, das Spiel berechnet dann die schnellste Route und zeigt sie in einer Mini-Karte am Bildschirmrand an. Falsch abbiegen kann man zwar theoretisch immer noch, das nervige Suchen der richtigen Ausfahrt, wie man es aus früheren GTA-Spielen kannte, ist aber praktisch Vergangenheit. In Luxuslimousinen hilft sogar eine Stimme per Sprachausgabe beim Finden des richtigen Weges.
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Kaum hat sich Niko mit der Arbeit seines Cousins vertraut gemacht, fällt auf, dass Roman richtig dicke Probleme hat: Schulden plagen ihn, die albanische Mafia ist ihm auf den Fersen, und auch sonst hat er nicht gerade viel dafür getan, dass ihm sein Umfeld freundlich gesonnen ist. Nicht lange, und schon ist Niko selbst in die erste Schlägerei verwickelt oder muss seinen Cousin in einer rasanten Stadtfahrt vor Gangstern in Sicherheit bringen; die ersten Schritte, die ihn nach und nach selbst immer tiefer in die Kriminalität führen.
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Die Missionen - die vor allem in der Anfangsphase sehr rasch aufeinander folgen und GTA 4 so zunächst linearer und stärker durchgeplant erscheinen lassen als frühere Titel - sind dann insgesamt vielleicht auch ein kleiner Grund für Enttäuschungen. Ganz einfach deshalb, weil einem die meisten Aufgaben doch wohl vertraut sind. Eskort-Dienste, vor allem aber das Fahren zu einem Zielpunkt mit anschließendem Niederschießen aller am Ort befindlichen Kontrahenten ist eben die Art von Auftrag, wie man sie schon oft erledigen musste. Trotzdem spielt sich das Ganze etwas anders; eben weil sich sowohl Bedienung als auch Drumherum merklich verändert haben.
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Das beginnt bei der eher trivialen Sache wie der neuen Zielfunktion: Schießen mit den diversen Waffen wird so einfacher, auch wenn es immer noch den einen oder anderen Moment gibt, in dem das Ganze hakt und überhaupt nicht so funktioniert, wie man es möchte. Dann wäre da das Handy - das wichtigste Kommunikationsgerät im Spiel. Ob der Cousin mal wieder aus einer bedrohlichen Situation gerettet werden möchte, eine eingehende SMS über den nächsten Auftrag informiert oder Niko der Sinn nach einem Date mit einer neu in den Telefonspeicher aufgenommen weiblichen Bekanntschaft dürstet - möglich ist das alles. Teilweise nehmen die Anrufe und Nachrichten fast schon Überhand, allerdings kommt hier dann doch wieder das typische GTA-Freiheitsgefühl zum Tragen: Wer will, weist einen Anruf einfach ab oder geht gar nicht erst ran. Wer möchte sich schon stören lassen, wenn er gerade auf dem Weg zu einer weiblichen Eroberung ist - auch wenn währenddessen die Verwandtschaft krankenhausreif geschlagen wird und leider niemand da ist, der sie rettet und zum Arzt fährt?
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Überhaupt sind da natürlich wieder die unzähligen Dinge, die sich abseits der Kampagne absolvieren lassen; wie gewohnt kann die nach und nach weiter zugängliche Stadt einfach zu Fuß, per U-Bahn oder fahrbarem Untersatz für eine gemütliche Spritztour genutzt werden, bei der sich dann auch die grafisch ganz wunderbar umgesetzten Tag- und Nachtwechsel genießen lassen. Oder aber es wird eine Runde Billard oder Bowling gespielt. Oder man kleidet sich in den Shops neu ein, geht ins Restaurant, flirtet, belauscht Passanten, beobachtet die Polizei bei einer plötzlich stattfindenden Festnahme - die Möglichkeiten sind gigantisch, die daraus resultierende zusätzliche Spielzeit jenseits der Hauptkampagne
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Natürlich gibt es auch bei diesem GTA wieder einiges zu meckern: Die Szenerie ist zwar unglaublich lebendig und glaubwürdig, vor allem dank der hervorragenden und oft ebenso drastischen wie humorvollen englischen Sprachausgabe. Technisch hat man trotzdem nicht das Gefühl, dass PS3 oder Xbox 360 hier an ihre Leistungsgrenzen gebracht werden: Zu ernsthaften Rucklern kommt es eigentlich nur dann, wenn wirklich extrem viel los ist - Explosionen, viele Vehikel, und detailreiche Umgebungen. Im Normalfall stellt das aber kein Problem dar. Die Kamera steht allerdings gelegentlich ungünstig, die Speicherpunkte nur zwischen den Missionen sind teils unfair, der Schwierigkeitsgrad nimmt gerade zum Ende hin wieder astronomisch zu. Überhaupt verzweifelt man nach dem eher einfachen Einstieg später öfter: Hat man es auf Grund diverser Missetaten später geschafft, einen hohen Fahndungsgrad zu erreichen - das Kontrollfeld der Polizei wird in der Mini-Karte angezeigt - ist ein Entkommen so gut wie unmöglich; wilde Verfolgungsjagden sind ebenso an der Tagesordnung wie die Flucht vor dem Polizeihubschrauber.
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Der Multiplayer-Modus ist - für Mitglieder von Xbox Live und PlayStation Network - jederzeit über einen Menüpunkt im virtuellen Handy zu erreichen. Das Angebot ist groß: Rund 14 Spielmodi gibt es, darunter neben Team Deathmatch und Wettrennen auch etwas ungewöhnlichere. In "Turf War" etwa kämpfen zwei Parteien darum, mit ihren Autos zu bestimmten Stellen in Liberty City zu fahren und diese Orte möglichst lange zu besetzen. Eine anderer Modus heißt "Cops and Crooks" und weist einem Team die Rolle von Polizisten, einem anderen die Rolle der Gang "Crooks" zu. Die müssen ihren Boss sicher bis zu einem bestimmten Ziel bringen, während die Cops genau das verhindern wollen.
Die grafischen Unterschiede zwischen GTA 4 auf Xbox 360 und PlayStation 3 sind klein. Nur wer genau hinsieht, erkennt auf der PS3 die etwas schöneren Licht- und Schatteneffekte, deutlich echter aussehende Gesichter und plastischer, runder und einen Zack schickere Autos. Dafür sieht auf der Xbox die Stadt schöner aus, Details sind oft besser erkennbar, Texturen wirklich klarer, Kontraste größer. Insgesamt wirkt GTA 4 auf der Xbox 360 höher aufgelöst, auch die Kantenglättung funktioniert deutlich besser. Zwar wirkt die Grafik auf beiden Systemen erstklassig, im Zweifel rät Golem.de aber zur Xbox-360-Version; zumindest dann, wenn der generell höhere Geräuschpegel der Microsoft-Konsole das persönliche Wohlbefinden nicht stört.
Grand Theft Auto 4 ist derzeit exklusiv auf PlayStation 3 und Xbox 360 für jeweils rund 60 Euro erhältlich; eine PC-Fassung erscheint wahrscheinlich zum Jahresende, ist offiziell allerdings nicht angekündigt. Ein Alterssiegel hat das nur für Erwachsene geeignete Spiel wegen seiner Inhalte von der USK nicht erhalten.
Fazit:
Im Grunde ist GTA 4 über weite Strecken das Spiel, das man erwarten konnte - die Missionsabläufe sind oft überraschungsarm, die Mankos teils dieselben wie in früheren Spielen. Und trotzdem setzt der Titel Maßstäbe. Dafür sorgen sein ebenso ungewöhnlicher wie gleichzeitig ruppiger und humorvoller Held, die spannende Story, die lebendige Stadt und das grandiose Spielgefühl. Kaum ein Titel schafft es, mit einer so faszinierenden, pulsierenden Atmosphäre wie GTA 4 den Spieler über Tage hinweg komplett in seinen Bann zu ziehen. GTA 4 ist nicht perfekt; aber es ist eines der bislang fesselndsten und beeindruckendsten Spielerlebnisse.
Quelle: www.golem.de